Die lebende Leinwand (10/2010)

Heute habe ich von einer Freundin eine sehr große Leinwand geschenkt bekommen.

Diese war so sperrig, dass sie nicht durch die Wohnungstür passte. Deshalb spannte ich sie auf der Terrasse in einen Rahmen und ließ sie dort von der Sonne bescheinen. Während ich mich auf meiner Gartenliege rekelte und überlegte, was ich damit anfangen könnte, obwohl ich weder Farben noch Pinsel im Haus hatte, geschah etwas Wunderbares:

Auf der gerade noch leeren Leinwand entstand eine wogende, duftende Blumenwiese aus rotem Mohn. Die zarten Blätter leuchteten im Sonnenlicht, es gesellten sich königlich blau strahlende Kornblumen hinzu, dann schneeweiße Margeriten und schließlich satte grüne Gräser. Alles wog sich im Takt einer langsamen Musik, den der laue Sommerwind über die Leinwand zu blasen schien.

Meine Kindheit stieg vor mir auf:
Diese herrliche, unbeschwerte Ferienzeit auf dem Lande, als die Sommer noch heiß waren und ich wochenlang barfuß umher laufen konnte. Als wäre es gestern, spürte ich den warmen Sand und die von der Sonne erhitzten Steine unter meinen Fußsohlen. Das Tollen über die saftige Wiese kühlte diese anschließend wieder.

Die Erinnerung der kitzelnden Gräser an meinen Beinen auf der Wiese, wo einzig und allein diese drei Blumenarten wuchsen, wurde lebendig. Die eine blühte stets in einem flammenden Rot, die andere in einem leuchtenden Blau und die Kleinste in unschuldigen Weiß. Schon als Kind hatte ich gespürt, dass mein Glück die Natur sein würde.

Dann hörte ich ein Summen und sah, dass sich Bienen auf die Leinwand setzten und den Nektar einsammelten. Farbenprächtige Schmetterlinge flatterten von allen Seiten herbei, ließen sich auf den Blütenkelchen nieder, so dass diese leicht dem Erdboden entgegen sanken, nur um ganz plötzlich wieder empor zu schnellen, als die Schmetterlinge sich erhoben und zu den nächsten Blüten flogen. Schon wuchsen an den Seiten der Leinwand Bäume heran, an denen sich der Efeu empor schlängelte und in deren sanften Schatten Büsche wuchsen, die orange Früchte trugen. Vögel ließen sich leise in den Bäumen nieder, beäugten einen Moment die Früchte und stürzten sich dann darauf, um sich an ihnen zu laben. Schon flogen sie zurück zu ihren Nestern und sangen ihre Lieder. So begrüßten sie die Abendsonne, die ein letztes Mal die Wiese in ein leuchtendes Farbenmeer verwandelte, bevor es dunkel wurde. Dann war Schweigen.

Lächelnd erwachte ich auf meiner Gartenliege.

Ob dieser Traum ein Morgen kennt?

Kindheits-Paradies

Heckenrose

Die Sommerferien verbrachte ich immer auf dem Land bei meiner geliebten Oma.

Sie kochte mir jedes Mal Vanillepudding, dazu gab es selbstgepflückte Himbeeren aus dem Garten.

Ich durfte Tomaten vom Strauch pflücken. Der Duft des Grüns verzaubert mich noch heute.

Es war so wundervoll, barfuß mit anderen Kindern über Wiesen zu laufen, wo gelbe Löwenzahnblüten wie vom Himmel gefallene Sterne im satten Grün leuchteten. Wir durften so lange draußen spielen, bis es dunkel wurde.

Großartig, sich auf gemähten Futterwiesen lang auszustrecken, um den Schmetterlingen beim Spielen zuzusehen. Es sah aus, als tanzten sie Ringelrein. Zauberhaft, die bunt schillernden, irisierenden Flügel im Flug zu betrachten.

Der Geruch des langsam trocknenden Grases zu Heu war einmalig. Genau so wie die blühenden Heckenrosen am Rand der Wiese.

Abends brachte Oma mich liebevoll zu Bett. Sie trug ein dunkelblau/pink kariertes Kleid. Daran waren goldene Knöpfe mit Löwenköpfen genäht. Diese faszinierten mich damals. Noch heute sehe ich diese vor mir, wenn ich an meine Oma denke. Ein dankbares Lächeln huscht dann über mein Gesicht. Genau so wie bei Vanille- und Heckenrosenduft.

Dieses Sommer-Paradies wird mir unvergessen bleiben.

Grenzenlos

Voller Vorfreude deckte er den Tisch. Dunkelrote Rosen auf weißer Damasttischdecke, das sah einfach edel aus. Die Servietten und Kerzen, die im silbernen dreiarmigen Leuchter standen, passten farblich zu den Blumen. Das Porzellan, das Besteck und die Kristallgläser harmonisierten mit allem. Aus der Küche zog ein köstlicher Bratenduft durchs Wohnzimmer. Nun musste Kai sich nur noch um die Soße kümmern, dann war das Festmahl fertig. Salzkartoffeln und Rotkohl würde es als Beilage geben.
„Was soll ich dir denn kochen?“ hatte er Angela gefragt.
„Ach Schatz, ich lasse mich doch so gern überraschen!“
„ Ich denke mir etwas aus.“
Beim Abschied flüsterte er ihr ins Ohr: „Ach, Liebste, wie sehr du mein Leben bereicherst. Unser Gedankenaustausch, ohne Versteckspiel, so voller Vertrauen und unser herzhaftes Lachen. Es ist wundervoll mit dir!“

Lächelnd, in Gedanken versunken, bereitete er nun den Nachtisch zu. Eine Zitronenspeise, nicht einfach aus der Tüte mit künstlichen Aromen, sondern aus echten Zitronen. Er hatte extra frische Eier auf dem Markt gekauft, damit der Eischnee auch wirklich fest wäre, wenn er ihn unter die sämige Masse ziehen würde. Auf einem kleinen Nebentisch stand schon eine geöffnete Flasche Rotwein, damit der edle Tropfen atmen konnte. Oh ja, er wusste, wie sehr er sie mit seinen Kochkünsten beeindrucken konnte. Das schmeichelte ihm natürlich sehr. Sie waren sich beide bewusst, wie erotisch ein gemeinsames Essen sein konnte. Wie der Bissen zwischen die leicht geöffneten Lippen geschoben wird. Das langsame genussvolle Zerkleinern, das Reizen der Geschmacksknospen und als Krönung die Zunge, die über die Lippen gleitet. Ja! Das hatte etwas! Ob er die Kerzen schon anzünden sollte? Ein Blick auf die Uhr – nein ein paar Minuten wollte er noch warten, dann würde sie hier sein.

Zierliche Sandalen ließen sie leichtfüßig auf dem Fußweg entlang schreiten, ohne ein Geräusch zu hinterlassen. Der fließende Stoff ihres bodenlangen, leicht transparenten weißen Kleides ließ bei jedem Schritt die Konturen ihres feingliedrigen Körpers erahnen. Die festen Brüste wippten ganz sacht im Takt. Sie war sich ihrer Wirkung voll bewusst und genoss es, wenn sehnsüchtige Augen sie betrachteten. Ein Lächeln glitt über ihr ebenmäßiges Gesicht, als ein junger Mann mit leicht geöffnetem Mund verzückt den Liebreiz dieses engelhaften Wesens bestaunte. Er hupte kurz, als er mit seinem offenen Cabrio an ihr vorbeifuhr. Sie schüttelte spielerisch ihre langen blonden Haare.
„Bist du eigentlich eifersüchtig?“ hatte Kai sie einmal gefragt.
„Nein, warum sollte ich? Niemand gehört dem anderen. Ohne Freiheit ist keine Liebe möglich. Wenn das Vertrauen nicht da ist, geht gar nichts.“
Ein Wohlgefühl ließ Angela tief durchatmen. Ja, diese Freiheit brauchte sie und dieses Vertrauen. Der Gedanke, sich in wenigen Augenblicken an ihren Liebsten schmiegen zu dürfen, sich umschlingen und zu berühren, versetzte sie in Hochstimmung.

„Geliebter Kai, wenige Minuten noch, dann bin ich bei dir!“ flüsterte sie.
Zwei Wochen Trennung, schmerzhaft für Liebende. Sie wollte ihr Begehren ausleben. Es würde, wie bei jeder ihrer Begegnungen, leidenschaftlich und erfüllend sein. In diesen erotisierenden Gedanken versunken übersah Angela, dass die Ampel auf Rot stand. Bei dem Zusammenstoß mit dem Auto wurde sie hochgeschleudert und zurück auf die Straße geworfen. Regungslos, mit leicht verdrehten Gliedern blieb sie liegen, zum Entsetzen der Passanten, die den Unfall beobachtet hatten. Ihr Kleid lag wie ein geöffneter Fächer um ihren Körper, als hätte es jemand extra so arrangiert. Etwas Dunkelrotes schien auf dem weißen Stoff des Kleides eine Rose sprießen zu lassen. Reifen quietschen, da der nächste Auto-Fahrer nur durch eine Vollbremsung verhindern konnte, die Verunglückte zu überfahren. Es hörte sich an wie ein Schrei. In genau diesem Moment glitt Angela aus ihrem Körper. Sie verstand erst nicht, wieso sie sich dort liegen sah. Wie märchenhaft es doch anmutete, das weiße seidige Kleid auf dem schwarzen Asphalt. Warum war auf dem Kleid jetzt eine rote Rose zu sehen? Was war denn nur passiert? Plötzlich hatte sie eine Ahnung davon, was mit ihr geschehen war. Sie fühlte sich so wunderbar leicht und glücklich.

Kai zündete die dunkelroten Kerzen an und schaute immer wieder auf die Uhr.
„Engel, nun müsstest du doch endlich kommen. Liebste, lass mich nicht so lange warten!“ setzte er noch leise hinzu. Kaum hatte er die Worte gesprochen, da befiel ihn ein unsagbarer Schmerz, der sein Herz zu zerreißen drohte. Schlagartig wusste Kai, dass seiner Angebeteten etwas passiert sein musste. Gerade wollte er seine Jacke von der Garderobe reißen, als er einen zarten Hauch an seiner Wange verspürte.
„Geliebter, wie glücklich du mich gemacht hast. Nie begegnete ich einem Menschen wie dir. Ich möchte dir danken“, flüsterte Angela, als sie ihn ein letztes Mal in ihre Arme nahm.
Kai erstarrte in seiner Bewegung, er spürte sie derart intensiv, obwohl er sie nicht sehen konnte. Nun wurde zur Gewissheit was er schon ahnte, es war etwas Furchtbares passiert! Zarter Rosenduft hüllte ihn ein, als er ihre Stimme, dicht an seinem Ohr vernahm: „Alles Getrennte findet sich wieder.“

Laufversuch

Meine Lieblingsstrecke zum Spazieren gehen und Fahrrad fahren beträgt fünf Kilometer insgesamt, sie führt an einem kleinen Fluss entlang. Der erste Kilometer des schmalen Weges ist asphaltiert, daran schließt sich ein fester Sandboden an. Links und rechts befinden sich Grasflächen, auf denen im Sommer Kühe weiden, Bäume und Büsche säumen den Weg im Wechsel mit Weidezäunen. Nach der Hälfte der Strecke erwartet mich ein großer See, auf dem sich Enten und mitunter sogar Schwäne aufhalten. Sie schwimmen meistens in der Mitte des Sees, weil im Sommer die Kinder darin baden und ganzjährig Hunde, deren Besitzer Stöckchen ins Wasser werfen, damit die Vierbeiner hinterher springen. Ein beliebter Ort, um die Hunde von der Leine zu lassen, damit sie sich austoben können. Außerdem sind hier immer Spaziergänger, Fahrradfahrer, Läufer und Walker unterwegs, um diese wundervolle Strecke zu genießen und sich körperlich ein wenig zu ertüchtigen.

Insgeheim bewunderte ich diese sportlichen Menschen, die diesen Ehrgeiz und das Durchhaltevermögen haben. Das hätte ich auch gern! Einige Male habe ich in der letzten Zeit einen Versuch unternommen und bin eine kurze Strecke gelaufen, schwerfällig, steif und ungelenk kam ich mir vor. Auf dem Sandboden lief es sich wesentlich angenehmer, als auf dem Asphalt. Allein schon dieses Knirschen bei jedem Schritt löst ein besonderes Gefühl aus. Ich richtete meine Schnelligkeit automatisch nach diesem Geräusch, das mir irgendwie beruhigend und harmonisch erschien, wie eine Melodie, die zum Tanzen auffordert. Eigenartige Gedanken und Empfindungen – ungewohnt, aber sie gefielen mir.

Beim dritten Mal ging es alles schon wesentlich besser, und ich hatte einen winzigen Einblick in das Erleben der Laufenden. Ich keuchte, der Hals brannte, weil ich mit offenem Mund geatmet hatte, die Zunge schien festgeklebt zu sein, so trocken lag sie am Gaumen. Der Schweiß trat aus jeder Pore, mein T-Shirt klebte mir am Rücken, von der Stirn suchten sich die Schweißperlen ihren Weg über die Wangen und den Hals hin zum T-Shirt. Eine verfing sich in meinen Wimpern und fand in meinem Auge ihr Ende, was fürchterlich brannte. Aber das war schnell vorbei, geschahen doch ganz andere, wichtigere Dinge mit mir. Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: „mit jedem Schritt eine Lebensminute geschenkt bekommen“. Ja! Das war realistisch, ist es doch erwiesen, dass Sport gesund erhält.

Auch dieses Mal geschah etwas Faszinierendes, ein Glücksgefühl durchströmte mich. Ich bin gelaufen! Ich habe einen Versuch unternommen! Was für ein Erlebnis! Mein keuchender Atem wurde gleichmäßiger, die eingeatmete Luft fühlte sich ganz anders an als vor dem Lauf, viel frischer und reiner. Mein Brustkorb schien doppelt so groß zu sein, soviel Platz hatte ich plötzlich da drinnen. Etwas für meine Gesundheit getan zu haben, war ein derart gutes Gefühl. Ich war voller Freude, meine Glieder erschienen mir jetzt wendiger, wenn auch die Fußgelenke schmerzten, weil ich keine Turnschuhe trug. Das sollte ich beim nächsten Mal bedenken, denn es wird ein nächstes Mal geben…

Veröffentlichung 2009 im LAUF:GENUSS  (Anthologie v. Marten Petersen)

Die Magie der Kiwi


Im Supermarkt sehe ich dicht aneinander gedrängt die Kiwis liegen. Ich nehme vorsichtig einige zwischen meine Finger, um sie sacht zu drücken. So möchte ich erfahren, wann sie essbar ist. Die meisten sind steinhart und benötigen noch eine lange Zeit, um nachzureifen. Ich finde eine Kiwi, in der das Fruchtfleisch nachgibt unter dem Druck meiner Hand, die Schale fühlt sich an wie rauer Samt.

Bei der Vorstellung, sie gleich zu Hause zu vernaschen, sehe ich ihr grünes Innenleben mit den kleinen schwarzen Körnchen drinnen – sternförmig angelegt – direkt vor mir und spüre den für die Kiwi typisch süß-säuerlich, herben Geschmack auf meiner Zunge. Die leichte Bitterkeit der Frucht lässt mir das Wasser im Mund zusammen laufen. Nun will ich schnell nach Hause, nehme mir noch zusätzlich drei unreife Früchte aus der Obstkiste mit und bezahle alle an der Kasse. In meiner Wohnung angekommen, kann ich es kaum erwarten, diese Exotik zu genießen. Ich schneide die Frucht quer auf, der Saft rinnt mir durch die Finger. Ich schließe die Augen, um ihn mit Innigkeit von diesen zu lecken. Kein Tropfen soll mir entkommen! Dann löse ich mit einem Löffel das Fleisch aus der ersten Hälfte der Kiwi, schiebe es mir in den Mund.

Plötzlich befinde ich mich an einen weißen Strand, der vor Hitze zu glühen scheint. Das türkisfarbene Wasser tanzt in kleinen Wellen auf ihm. Wolkenloser, strahlend blauer Himmel, dezente Musik im Hintergrund von einem kleinen Stand, an dem man sich ein köstliches Getränk in einem Glas mit Zuckerrand und einer daran befestigten Orangenscheibe holen kann. Das leichte Knacken der kleinen Kerne zwischen meinen Zähnen lässt mich zurückkehren in die Wirklichkeit. Ein Kurzurlaub im Süden, ausgelöst durch EINE Kiwi, von der ich gleich auch noch die andere Hälfte genießen werde. Was für eine Kraft in so einer kleinen Frucht steckt.  Unglaublich!

Schlangenbändiger gesucht!


Hinter meinem Schreibtisch befindet sich eine Schlangengrube. Die Stromkabel von Computer, Drucker, Internet-Anschluss, Telefon/AB, Scanner und  einer kleinen Lampe sind vielleicht doch etwas zu viel? Eigentlich ist alles in Ordnung, wenn ich nicht direkt unter den Schreibtisch schaue. Heute will ich dem Chaos ein Ende bereiten. Ich ziehe alle Stecker, sortiere jede Menge Kabel, rolle einige auf und binde sie zusammen. Mit richtiger Freude bin ich dabei. Zufrieden stopfe ich dann alles wieder in den “Untergrund”. Leider habe ich einige Kabel zu kurz aufgewickelt.

Während der nächsten Tage ziehe ich mal hier und mal dort an einzelnen Kabeln  – auch mit leichter Gewalt. Damit habe ich Leben in die Kabel gehaucht. Sie werden zu Schlangen, kämpfen um Leben und Tod. Ein großes Knäuel entsteht, als hätten sie sich ineinander verbissen. Alles tot, denke ich. Du meine Güte! Jetzt ohne Computer? Ohne Netzanschluss? Ohne Telefon? Panik!

Zaghaft drücke ich auf den Schalter der  Steckleiste.  Wahnsinn! Ein Wunder! Es fließt immer noch Strom.

2010

Othello

Mit den Armen gestützt auf das morsche Gatter, steht sie hier und sieht gedankenverloren zu den Pferden auf der Weide und den Gutshof hinüber. Wer mag da jetzt wohl wohnen, ob dort auch Kinder mit eingezogen sind? Das wäre schön, denn früher war hier ständig etwas los.

Zurückblickend vernimmt sie das Lachen der Kinder, die auf den Rücken der Pferde sitzen und kleine spitze Schreie ausstoßen, wenn sie mal wieder den Halt verloren haben und vom Pferd gefallen sind. Ein Ponny rennt über die Koppel, übermütig mit den Hinterbeinen ausschlagend vor Lebensfreude. Sein Wiehern klingt wie ein Lachen und der schwarze Schweif wirbelt hoch, um sich zerzaust wieder an das rotbraune Fell zu schmiegen, das wie Seide in der Mittagssonne glänzt. Wie war noch der Name des Ponnys? Otto? Oskar? Nein, Othello! Wie konnte sie das nur vergessen, wo sie doch so oft seinen Namen gerufen hat, damit er angetrabt kommt, um sich von ihr liebevoll die samtigen Nüstern streicheln zu lassen.

Das Wiehern der Pferde auf der Weide reißt sie je aus ihren schönen Erinnerungen und kein Ponny, keine Kinder sind zu sehen. Völlige Stille hängt schwer in der Luft, irgendwie bedrückend fühlt es sich an. Wohnt dort überhaupt noch jemand? Ob sie einfach mal über das Gatter steigt und hinüber geht, um an die Tür zu klopfen und sich Gewissheit zu verschaffen? Ach nein, sie will doch lieber die wunderschönen Erinnerungen behalten, genießen und sich vorstellen, dass das Haus voller Leben ist.

Lächelnd lässt sie noch einmal ihren Blick über die Weide schweifen, um dann mit einem Gefühl tiefster Zufriedenheit ihren Rückweg anzutreten.

An einem Genickbruch vorbei

Gestern während der Busfahrt habe ich mich zweimal umgesetzt. Ich konnte mich nicht entscheiden, wie ich mein Genick gebrochen haben möchte: von hinten nach vorn oder von vorn nach hinten. Vielleicht doch lieber von links nach rechts oder umgekehrt?

Der Busfahrer gab Gas, um dann unmittelbar wieder voll in die Eisen zu steigen. Das ging die gesamte Strecke (15) Minuten so. Ich wartete schon darauf, dass die Köpfe der Mitfahrenden rollten.
Mein Gedanke: Männer, ihr habt doch sonst auch Gefühl. Könnt ihr das nicht mal in die Füße transportieren beim Autofahren? (Gilt jetzt nur für die Busfahrer!!!!!!)

Vorige Woche fuhr ich die Hin- und Rückfahrt mit einer Frau. Sie lenkte weich und gefühlvoll den Bus. Eine Harmonie in den Bewegungen, wie sie das Lenkrad drehte! Ein Bremspedal schien es nicht zu geben. Der Bus glitt dahin, wie ein Schiff in ruhiger See. Wie sie die Kurven nahm, ja, das erinnerte mich daran, wie ich als kleines Kind in den Armen meiner Mutter gewiegt wurde. Ich konnte nicht umhin, dieser wunderbaren Busfahrerin zu sagen:
“Sie fahren wundervoll, so gefühlvoll kann nur eine Frau einen Bus lenken.” Ich glaube, nun wird sie den Bus schweben lassen.

An die ein oder zwei Busfahrer, mehr sind es zum Glück nicht: Wenn ihr euren Frust vor der Arbeit loswerden möchtet, bitte, lauft mit eurem Hund um den Block. Wenn kein Hund vorhanden, hackt Holz für den Kamin, wenn kein Kamin vorhanden, schreibt euren Frust einfach nieder, das beruhigt. Dies weiß ich aus Erfahrung.
In diesem Sinne – Gute Fahrt!

Wartezimmer-Blues

Ihr kennt es sicher alle: ein bis zwei Stunden im Wartezimmer sitzen, um dann für fünf Minuten zum Arzt rein zu dürfen. Nach einer Stunde versuche ich meine Hände zu entkrampfen, sie sachte auf die Oberschenkel zu legen, die Augen zu schließen um zu meditieren. Wie ging es noch gleich? Ruhig und tief atmen, versuchen an nichts zu denken. Das soll mir mal einer vormachen, wenn laufend Stühle gerückt werden und ständiges Schniefen und Husten zu vernehmen ist. Also, noch einmal anfangen: ich atme ruhig ein und aus. An nichts denken geht bei mir nicht, also stelle mir einen See mit Enten vor. Ach, ist das traumhaft, ich freue mich über die Küken. “Der nächste bitte”! Verdammt, nun wird auf der Wiese herum getrampelt. Also, das geht gar nicht. Ich fange an, innerlich ein Lied zu summen, mir den Text zusammen zu suchen. Oh ja, das bringt Spaß. Doch nun fängt ein Kind jämmerlich an zu schreien, keiner findet den Knopf zum Abstellen.

Ich bin kurz davor, aufzuspringen und in meine vier Wände zu flüchten. Aber: nicht gleich aufgeben! Irgendwann werde ich ja heute drankommen, denn für Übernachtungen ist die Praxis nicht ausgestattet. Einen Imbiss gibt es leider auch nicht, der wäre jetzt dringend nötig. Nach knapp zwei Stunden komme ich dann dran – für fünf Minuten, um zu einem anderen Arzt weiter überwiesen zu werden. Echt Klasse!

Sonntagsglück

Sonntag, Sonnenschein und gute Laune! Ich entschloss mich, eine Tour mit dem Fahrrad zu unternehmen. Schnell nahm ich noch die Wäsche im Trockenkeller ab und holte das Fahrrad aus meinem Kellerraum. Dann brachte ich den Korb mit der Wäsche zu meiner Wohnung. Verflixt! Das Schlüsselbund lag jetzt im Keller, und die Tür war ins Schloss gefallen. Es durfte nicht wahr sein! Ich klingelte bei den Nachbarn, beim dritten hatte ich Glück, er lieh mir kurz seinen Kellerschlüssel. Nun konnte ich doch noch losfahren. Vorher musste ich aber noch Luft in die Reifen pumpen, weil – wie so oft – der Reifendruck zu gering war.

Kurzärmlig, mit einer Weste über dem Pulli und einer Sonnenbrille auf der Nase fuhr ich los. Ich hatte mich völlig mit den frühlingshaften Temperaturen verschätzt, es war kühl und auch noch windig. Also umdrehen? Nein! Nach den ersten Kilometern ging es dann auch schon, mir wurde wärmer, weil ich ordentlich in die Pedalen trat. Neben mir fuhr langsam ein Motorradfahrer mit einer Frau als Sozius vorüber. In dem kleinen Beiwagen saß ein brauner Hund mittlerer Größe. Er war mit einem Hundegeschirr festgeschnallt und hatte eine – wohl für ihn extra angefertigte – Motorradbrille auf. Ich musste lachen, so was hatte ich noch nie gesehen. Dieser Hund saß dort mit erhobenem Kopf im Beiwagen, wichtig schaute er durch die kleine Plexiglasscheibe in Fahrtrichtung auf die Straße. Es fehlte ihm nur noch der Sturzhelm. Das Pärchen amüsierte sich über mein erstauntes Gesicht.

Als ich „über Land“ fuhr, entfernt von Hauptstraßen, entdeckte ich ein riesiges Tulpenfeld. Ich freute mich, dass ich meinen Fotoapparat dabei hatte. Die Sonne stand zwar etwas ungünstig zum Fotografieren, aber diese bunte Farbenpracht musste ich einfangen. Dann sah ich am Ende des Blumenackers Menschen stehen, die sich ein dort angebrachtes, beschriebenes Schild durchlasen. Ich hoffte, dass man sich selbst die Tulpen schneiden konnte. Mir fiel ein früherer Dänemarkurlaub ein. Es hatte mich total fasziniert, dass man dort von einem Tisch Ware nahm und dann das Geld auf einen Teller oder in eine Dose legte. Tatsächlich sah ich jetzt kleine Messer unter dem angebrachten Schild auf einem Bord liegen für die eigene „Blumenernte“. Eine Metallbox war für das Geld gesichert angebracht. Ich freute mich, dass ich passendes Kleingeld dabei hatte. Die lachsfarbenen Tulpen gefielen mir am besten, und ich schnitt mir einen großen Strauß.

Mit der Tulpenpracht im Fahrradkorb fuhr ich in Richtung Heimat. Ich kam noch bei einem Bäcker vorbei und kaufte mir ein großes Stück Marzipantorte. Die Kalorien hatte ich mir vorher ja schon abgearbeitet. Der Kaffee zum Kuchen schmeckte mir heute besonders gut.